Call for Papers
Wohnen ist eines der elementaren Bedürfnisse der Menschheit; mit dem Wohnen sind Assoziationen wie Heimat, Geborgenheit, Sicherheit, aber auch Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung verbunden. Der mittelalterliche und neuzeitliche Hausbau in Europa ist durch eine zunehmende Ausdifferenzierung von Raumstrukturen und ihrer Nutzung als Wohn- und Arbeitsbereiche gekennzeichnet, im 19. und 20. Jahrhundert wurde der Wohnungsbau zum modernen Massenphänomen. Aufgrund der sich verändernden Bedürfnisse hinsichtlich Privatsphäre und Komfort hat es vom Spätmittelalter bis heute immer wieder fundamentale Anpassungen der Funktionen und Raumabfolgen gegeben. Wohnen ist also einem ständigen Wandel unterworfen, der unterschiedlichste Ausprägungen aufweist, die technischer, regionaler, sozialer oder individueller Natur sein können. In der Forschung dienten bisher das Kategorisieren und Interpretieren von Raumprogrammen als Merkmal zur Definition von Haustypen, oftmals in Abhängigkeit von ihrem sozialen Kontext. Dabei wurde der ländliche Hausbau häufig getrennt von Stadthäusern betrachtet und tatsächliche Raumfunktionen mit ihren spezifischen materiellen Spuren in Form von Ausstattungselementen, mobilen Objekten oder Gebrauchsspuren zu selten berücksichtigt. Aspekte wie beispielsweise Erschließung, Beheizbarkeit und Belichtung bilden komplexe Befundlagen, die Auskunft über die oft großen Veränderungen unterworfene Nutzungsgeschichte des Wohnbereichs eines Hauses geben können. Statt altbekannte typologische Konzepte von begrenzter Aussagekraft weiterzuverfolgen, will sich die Tagung also insbesondere den Transformationsprozessen von Raumnutzungen widmen. Dabei ist die gelebte Dynamik zwischen „gebautem und „bewohntem Raum in den Fokus zu rücken.
Im Rahmen der Tagung sollen die folgenden Dimensionen im Vordergrund stehen:
- Zeitlich: Wie wirken neue oder gewandelte Alltagskulturen auf das Entstehen und die Ausdifferenzierung von räumlichen Strukturen? Wie stark beeinflussen wiederum vorhandene, ältere Raumstrukturen die Vorstellungen vom „richtigen Wohnen? Wie werden diese vorhandenen Strukturen für neue Zwecke und Bedürfnisse adaptiert?
- Sozial: Die Tagung möchte sich auf den ländlichen und städtischen Wohnbau konzentrieren. So können etwa Vergleiche von Raumabfolgen und Grundrissstrukturen zwischen ländlichen und städtischen Bereichen beleuchten, inwieweit sich die Ansprüche an das Wohnen in Stadt und Land unterscheiden. Zu fragen ist, ob sich dies auch in der Grundrissdisposition, der Ausstattung oder der Raumnutzung spiegelt. Gibt es hier tatsächlich Top-Down-Entwicklungen – von reich zu arm, vom Adel zum Bürger, vom Großbauern zum Tagelöhner usw.? Welche sozialen Unterschiede spielen hier eine Rolle oder sind die Beziehungen komplexer? Wer lebte zusammen in einem Gebäude (Eigentümer mit Familie, Altenteiler, Handwerksgesellen, Knechte und Mägde, Mieter…) und wie wirkte sich die sozialen Beziehungen der Bewohnerschaft eines Hauses auf Architektur und Ausstattung aus? Lassen sich darüber hinaus Aussagen zur Sozialstruktur und -topografie des Wohnens in Dörfern und Städten oder Siedlungen und Stadteilen treffen?
- Geografisch: Welche Erkenntnisse können überregionale Vergleiche in diesem Zusammenhang liefern? Führen soziale oder technologische Veränderungen im geografischen Vergleich zu ähnlichen oder unterschiedlichen Lösungen? Werden ähnliche Raumdispositionen in verschiedenen Regionen, Zeiten und sozialen Schichten gleich oder unterschiedlich genutzt oder finden sich hier divergierende Grundrissstrukturen (Vergleich Diele/Mittelflur und ähnliches)?
- Funktional: Welche Funktionen neben dem Wohnen spielten im Hausbau des Mittelalters, der frühen Neuzeit oder auch des Industriezeitalters eine Rolle (Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft mit Stallnutzung, industrielle Heimarbeit usw.)? Welche Auswirkungen hatten diese zusätzlichen funktionalen Anforderungen auf die räumlichen Strukturen der Häuser?
Gewünscht sind Fallstudien, Überblicksdarstellungen und vergleichenden Untersuchungen aus der historischen Haus- und Bauforschung, Architekturgeschichte, Europäischen Ethnologie/Kulturanthropologie, Mittelalter- und Neuzeitarchäologie, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte oder anderen am Thema interessierten Fächern, die aufzeigen können, dass Wohnen – und somit auch Bauen – einem ständigen Wandel unterworfen ist. Bevorzugt werden Beiträge, die von einer rein typologisch-entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise abweichen und historische Gebäude in ihrer praktisch-funktionalen Dimension in den Blick nehmen. Gibt es materielle Spuren menschlicher Aktivität (Baubefunde, Ausstattungsreste usw.), die in historischen Gebäuden bis heute erhalten geblieben sind oder einschlägige Schriftquellen (Inventare, Testamente, Prozessakten, Brandkassen-Taxationen usw.)? Welche Informationen liefern uns diese Befunde und Quellen über die tatsächliche Nutzung eines Gebäudes sowie Nutzungsänderungen über eine längere Zeitspanne hinweg?
Beitragsvorschläge mit Vortragstitel und einem max. 10-zeiligen Abstract sowie einer Kurzvita (CV) mit vollständiger Postanschrift erbitten wir bis zum 30. April 2023 an:
AHF-Regionalgruppe Österreich c/o Die Bauforscher Rudolfstraße 6/2, A-3430 Tulln/Donau Tel. +43 664 270 5303 E-Mail: kontakt@ahf-oesterreich.at